Streckenmäßig lange Hochtour im Engadin, von Pontresina (1774m) über die Tschiervahütte (2584m) auf den Piz Morteratsch (3751m) und Abstieg über die Bovalhütte (2495m) und Morteratsch wieder zurück zum Ausgangspunkt.
Wir kommen mit dem Zug schon um 23 Uhr in Pontresina an, hier ist es schon kühler als am niedrigen Bodensee. Der altbekannte Brunnen am Toilettenhäuschen wird noch beansprucht, bevor wir uns bei fast sternenklarem Himmel auf den Weg in das Val Roseg machen. Wir können in T-Shirt laufen, es geht durch die malerischen Tannenwäldchen auf fast ebenem Wanderweg einige Kilometer geradeaus. Hier ist es still, erst nach über einer Stunde erreichen wir die Kreuzung, von der aus ein Weg Richtung Hotel Roseg führt. Hier hören wir den Bass irgendeiner Party im Haus, da unser Bier allerdings bis morgen Abend warten muss, laufen wir schnurstracks weiter, immer den Schildern Richtung Tschiervahütte folgend. Als der Weg ein letztes Mal durch einen Waldgürtel verläuft, legen wir uns ein bisschen in unsere Biwaksäcke auf den Boden und stellen den Wecker auf zwei Stunden später. Die Milchstraße steht direkt über uns, als Zivilisationszeichen sieht man nur die blinkende Antenne der Bergstation auf am Piz Corvatsch.
Um 4:00 Uhr geht es weiter, der Pfad zieht sich am Berghang des Piz Tschierva entlang, jetzt immer mehr an Höhe gewinnend. Mit zunehmender Dämmerung erblicken wir den vergletscherten Talschluss des Val Roseg, mit seinen Gratgipfeln auf ca. 3500m. Immer mehr rückt auch die mächtige Gletscherstufe vor dem Piz Roseg in den Blick, wo der Tschiervagletscher sich zerklüftet über 400 Hm herunterschiebt. Auf dem oberen flacheren Stück sehen wir schon eine Seilschaft sich in Richtung Piz Roseg zu bewegen, die wir auf der Tour immer wieder mit den Augen verfolgen werden. Gegen kurz nach 5 Uhr stehen wir auf der Terrasse der Tschiervahütte (P. 2584), und nun ist auch der berühmte Biancograt auf den Piz Bernina zu sehen. Die “Himmelsleiter” endet in von Italien herüberziehenden Wolken, auf Schweizer Seite ist der Himmel wolkenlos.
Nach einer kurzen Pause, die zu kurz nicht sein darf, damit die Müdigkeit nicht wieder kommt, machen wir uns wieder auf den Weg, ein paar andere Seilschaften von der Hütte machen sich auch gerade fertig. Der Weg verläuft ein paar Minuten auf dem Normalweg zum Biancograt, bis er an einem markierten Stein nach links abzweigt. Langsam aber stetig laufen wir steil bergan, man überwindet ein paar Felsstufen (z.T. mit Draht- und Eisensicherung), Schneefelder und hat relativ flott über 300 Hm gemacht! So schnell müsste es immer gehen…
Auf ca. 3000 m gelangt man auf den spaltenarmen Vadrettin da Tschierva, auf dem flach aufgestiegen wird. Hier kann man entweder dem geschwungenen Gletscherverlauf folgen oder mehr oder weniger in gerader Linie (etwas weniger flach) auf die Fuorcla da Boval (P. 3347) zulaufen. Da wir das neue Seil dabeihaben und wir das aus Prinzip sowieso immer machen, seilen wir uns bald an, auch wenn (zumindest am linken Rand des Gletschers) die Spaltensturzgefahr sehr gering ist. Es geht gut voran, ab der Fuorcla da Boval sind wir dann auch in der Sonne, der Schnee, anfangs noch hart, wird zunehmend weicher. Zum Glück ist eine gute Spur drin, das ist angenehm. Ab der Fuorcla wird es steiler, bis der Rücken zum Nordgrat erreicht ist. Es weitet sich die Aussicht auf den “Festsaal der Alpen”, auf den gewaltigen Morteratsch- und Persgletscher mit Piz Palü, Bellavista und die weiteren hohen Gipfel im Hintergrund.
Noch warten 250 Hm auf uns, die Spur verläuft in Serpentinen in der steilen Ostflanke Richtung P. 3611, der Schnee wird gut sulzig und die ersten rutschen uns schon wieder entgegen. Auf dem Nordgrat angekommen hat man einen beeindruckenden Tiefblick nach Rechts und Links, es geht genussvoll leicht bergan, bis wir um kurz vor 9 Uhr auf dem Gipfel (3751m) stehen.
Von der Tschiervahütte bis hierher haben wir ca. 4 Stunden gebraucht, das ist mit 300 Höhenmetern in der Stunde gut zu schaffen. Die Höhe merkt man hier auch schon.
Vom Gipfel bietet sich ein beeindruckender Blick auf den Biancograt, den ich vor zwei Jahren schon mit einem anderen Kumpel begangen bin. Der Gipfel vom einzigen Viertausender der Region (ostwärts gibts auch keinen mehr in den Alpen), Piz Bernina, liegt allerdings in den Wolken, die nur gelegentlich einen kurzen Blick erlauben. Die Seilschaft am Piz Roseg, welche die Ostwand hochklettert, ist mittlerweile auch schon in den Wolken. Die Aussicht mit den Riesen im Rücken ist sensationell, die Berge liegen alle weit unterhalb dieser Höhe, und wir können sogar das Alpsteinmassiv mit dem Säntis in 100 km Entfernung erkennen! Ein Blick auf die Karte verrät, dass man durch Drehung um 180° dann in 100 km in der anderen Richtung genau auf den Gardasee blicken könnte (wäre da nicht Piz Palü dazwischen).
Nach ausgiebiger Gipfelrast und entspannen in der Sonne machen wir uns auf den Rückweg. Im Sulz kann super abgefahren/abgerutscht werden, bis wir nach kurzer Zeit an der Fuorcla da Boval (P. 3347) stehen. Hier rauschen gerade die Wolken entlang, was aber der Kühlung wegen auch gar nicht so schlecht ist. Ein paar andere gehen gesichert runter, uns geht es aber besser, wenn wir nicht am anderen hängen. Kraxelnd geht es runter, wirklich ausgesetzt ist es meistens nicht. An ein/zwei Stellen ist es vielleicht II-er Kletterei, ansonsten super zum schnell abklettern. 150 Hm weiter unten treffen wir auf die großen Restschneefelder, über die rasch abgefahren werden kann, was einen wieder die Skier heranwünschen lässt.
In einem kleinen Bogen gegen den Corn Boval hin geht es abwärts, dort hört der Schnee auf und auf steilem Geröllweg geht es hinunter bis zur Bovalhütte (P. 2495), wo wir uns unterhalb auf ein ebenes Stück Wiese legen. Es ist jetzt 12 Uhr, wir haben also viel Zeit. Hier schlafen wir eine Stunde, packen dann die Sachen ordentlich, und schlafen nochmal eine Stunde 🙂 Die Sonne wird verdeckt durch leichte Wolken, das ist sehr angenehm. Irgendwann raffen wir uns dann aber doch, und flotten Schrittes geht es auf dem gut begangenen Wanderweg Richtung Morteratsch. Dieser führt mehr oder weniger auf dem Moränenschutt entlang, und die Flora hier ist einfach überwältigend schön. Vor allem schön grün. Aber was für ein Grün, das sieht man nicht oft. Der lange Weg ist aber schnell erzählt, an der Kreuzung am Talende halten wir uns links und laufen auch noch die 6 km nach Pontresina, wo wir gegen 18 Uhr am Bahnhof (P. 1774) ankommen.