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    Regen, Cochamó, Wilder Granit und das Paradies

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    Regen, Cochamó, Wilder Granit und das Paradies

    Kurz vor Saisonende erhaschten wir noch einen Blick auf das paradiesische Cochamó Tal im Norden Patagoniens.

    Der obligatorische Zustieg ins Cochamó Tal ist anstrengende sechs Stunden lang. Durch tief ausgewaschene und nur zu Fuß oder auf dem Rücken der Pferde begehbare Pfade zieht er sich das Tal hinauf, und verhindert so zuverlässig, dass allzuviele Neugierige das Tal besuchen. Die späte Jahreszeit, so kurz vor dem Winter, tat ihr übriges, und so waren wir auf dem ganzen Weg alleine.

    Noch im Dorf Cochamó merkten wir deutlich, dass die Zeit der Touristen vorbei ist, die Läden und Restaurants sind geschlossen. Im Tourist-Info war auch niemand, also “borgten” wir uns die Landkarte, die auf dem einzelnen Schreibtisch im Raum lag. Eigentlich hatten wir vor, unsere Vorräte noch aufzustocken, allerdings war nirgends ein geöffneter Laden zu finden.

    Zum Glück wurden wir im eigentlich geschlossenen Restaurant mit einem der reichthaltigsten Frühstücke, die wir je in Chile bekommen haben, verköstigt. Satt und zufrieden machten wir uns auf den Weg, einen Fahrer zu organisieren, der uns zum Trailhead bringen sollte. Ein kurzer Schwatz mit einer Amerikanerin, die mit strahlenden Augen vom Tal schwärmte, und schon war Ihr Pickup und auch wir bereit. Am Ende des fahrbaren Wegs stoppten wir an einer Art sehr altmodischen Ranger-Station.

    Der Weg ins Tal

    Huasos in Chaps sitzen vor der Holzhütte, rauchen, trinken Mate und schnitzen. Pferde grasen. Wir tragen uns ins Büchlein ein und marschieren los. Der Weg ist schön, aber sehr anstrengend: metertief eingegrabene Pfade, seit hundert Jahren in den Waldboden gefurcht.

    Der Pfad über den Paso El León ist alt: Vieh und Pferde von Argentinien an die Küste, Fisch zurück nach Argentinien, hinterlassen tiefe Spuren. Butch Cassidy und Sundance Kid haben diesen Übergang auch schon genutzt.

    Knietiefe Wasserlöcher können nicht umgangen werden, also zehn Meter zurück, eine andere Variante suchen. Wieder ein Übergang über einen der vielen Bäche. Und noch eine Hängebrücke, wackelig und schaukelnd, aber stabil. Kilometerlang sind Holzbohlen über die schlimmsten Matschlöcher gelegt. So geht es sechs Stunden lang.

    Endlich öffnet sich der Wald, wir betreten eine Lichtung. Ein großer Platz, umrahmt von 1000 Meter hohen Felswänden. In der Mitte ein kleines, windschiefes Häuschen, ein junger Mann in groben Cordhosen und Wollweste, und der typisch patagonischen Schiebermütze. Pferde grasen. Nach den Stunden des Zwielichts im Wald, den Blick ständig auf den Boden gerichtet, atmet der Körper und der Geist tief die feuchte, kalte, klare Luft ein.

    BigWall

    Die besten Kletterer der Welt, bekannte wie unbekannte, genießen diesen Ort, wie wir ihn auch genießen. Die Ruhe und Stille dieser Lichtung hallt beeindruckend lautlos von den Granitwänden wieder. Auf der Campingwiese steht eine Kochhütte. Drin einige blonde, bärtige Amerikaner, von dicken Rauchschwaden umhüllt. Über der Feuerstelle hängen Klamotten. Draußen prasselt der Regen, die gute Laune prasselt drinnen – sie sind am Donuts backen. Später erfahre ich: das sind diejenigen Leute, die hier in jahrelanger Arbeit die Routen erschließen. In einer Saison wird ausgekundschaftet, in der nächsten Saison wird der Zustieg von Bewuchs und so ein Pfad zum Wandfuß befreit, in der nächsten Saison vielleicht dann schon die Route befreit. Oder in der Übernächsten. Die Routen tragen klingende Namen und mit viel Liebe gezeichnete Topos und Beschreibungen werden im Refugio bei Daniel, Silvina, ihrem Sohn Zen und den anderen (Teilzeit-)Bewohnern wie Schatzkarten verwahrt. Dirtbags in Paradise! Sie schaffen den Weg in’s Dorf mittlerweile in vier Stunden. “Mal eben kurz Bier holen” dauert hier oben halt acht Stunden.

    Arco Iris

    Wir machen uns auf den Weg, eine Lücke in den Regenwolken nutzend, zum Cerro Arco Iris. Durch dichten Alercenwald schlängelt sich ein schmaler Pfad den Berg hinauf. Lange begleitet uns Getöse, welches immer lauter wird. Dann der Wasserfall. Wir verweilen, saugen die Stimmung in uns auf. Über eine ziemlich schwankende Hängebrücke geht es weiter, weiter hinauf. Oben, am Wandfuß, bestaune ich die Kletterrouten. Nichts, aber auch gar nichts davon, sieht auf den ersten Blick “machbar” aus. Alex Honnold war mal hier oben, erklären mir die Dirtbags später. Unter dem riesen Überhang ein großer, trockener Platz, eine Feuerstelle. Wir gehen weiter hinauf, links am Fels entlang. Der Weg wird steiler, rutschiger, immer öfter klettern wir an Wurzeln höher. Plötzlich kommt uns ein Mädel entgegen. Oben gehe es nicht mehr weiter, aber am Balkon zu sitzen sei schon auch was, die Aussicht aufs Tal und die massiven Granitwände sei “mucho impressive”.

    Dann, der berühmte “Balkon”. Ihn zu erklimmen geht nur über eine schmierige, rutschige und steil geneigte Felsplatte, etwa 3 Meter hoch. Sie ist nur etwas über einen Meter breit, links und rechts ragen Wurzeln hinein, und ein Fixseil ist befestigt. Vorsichtig steigen wir auf. Ein Ausrutscher wäre hier fatal, unter uns nur ein kleiner Absatz, dann Luft. Viel weiter unten kommt wohl dann die Feuerstelle.

    Die Aussicht ist wirklich impressive. Ich suche nach dem Weg, irgendwo muss es hier weiter gehen. Tatsächlich, ein umgestürzter Baum versperrt den Weg. Nicht ganz ungefährlich überklettern wir den modernden Baum und finden den Pfad. Etwas einfacher geht die kaum erkennbare Pfadspur immer weiter durch den Wald hoch. Oben angekommen, eine Art Passübergang, geht es sachte absteigend wieder abwärts. Die Sicht ist, sobald der dichte Wald sie freigibt, unbeschreiblich. Nach einer Weile entscheiden wir uns zur Umkehr, es wird spät, wir sind durchnässt. Wir wissen auch nicht, ob das überhaupt noch ein Weg ist und wohin er uns führt. In Patagonien kann solch ein Pfad tagelang durch den Wald aus der jeglicher Zivilisation hinaus führen.

    Refugio Cochamó

    Am Morgen ein kurzer Versuch des Abstiegs in’s Dorf hinunter, doch der hart prasselnde Regen und die enorm angestiegenen Wassermassen in den Bächen und Flüssen, das viele Wasser, das sich die matschigen Wege hinunterwälzt, lassen uns unsere Pläne schnell anpassen. Über einen kleinen Umweg erreichen wir das Refugio Cochamó.

    Ein wirkliches Refugium, groß, warm, ein prasselnder Ofen, eine dampfende Tasse Tee, warmes Holz überall. Wir lassen uns nieder, quatschen mit den anderen, Freunden uns an, trocknen uns und unsere warmen Schlafsäcke. Essen gemeinsam an einem großen Tisch zu Abend und lassen uns in Gesprächen treiben. Eine gute Idee, hier den Regen auszusitzen und erst tags darauf den Versuch zu wagen, ins Tal abzusteigen.

    Ein paradiesischer Ort ist es hier. Das Refugio wird geführt von wirklich ehrlich aufmerksamen (in allen Belangen des Wortes) Menschen. Zwei Kletterer, die einfach keine Lust hatten, ihr Kind in der schädlich-modernen Welt aufwachsen zu lassen. Der Kleine hat ein offenes, aufgewecktes Wesen und spricht mittlerweile vier Sprachen. Er wird sicher ein großer, aufrechter Mensch werden.

    Kaum unten im Dorf angekommen, begrüßt uns sogar die Sonne! Wir finden uns wieder auf der Pritsche eines Pickups, am Abend gehen wir noch schick essen. Also wir gehen essen, schick kommt uns nur die Umgebung vor.

    Literatur:

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