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    Kommentar: die Sache mit der Bergwacht und der Unvernunft

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    Kommentar: die Sache mit der Bergwacht und der Unvernunft

    Eines vorweg: die Bergwacht gibt es aus einem einzigen Grund – damit sie Hilfe in den Bergen leisten kann! Damit sie gerufen werden kann, um Menschen in einer (Berg-)Notlage zu helfen. Warum man solche simplen Feststellungen gleich zu Beginn eines Meinungs-Artikels festhalten muss, ist an sich ja schon überlegenswert, und im Verlauf des Artikels werden wir daran erinnert, dass selbst so grundlegende Feststellungen im Konglomerat der Meinungen scheinbar verloren gehen.

    Ich folge in den Sozialen Medien den Bergwachten des Umkreises. Nach besonderen Einsätzen posten sie kurze Beschreibungen des jeweiligen Einsatzes und fügen einige Fotos hinzu. Man könnte – wenn man denn wollte – durch diese Beitrage etwas lernen, über die Route, die Wetterbedingungen, und ganz Allgemein über die Gefahren, die auch auf scheinbar “einfachen” Bergen auftreten können, wenn ein paar Dinge unglücklich zusammenkommen – also die sprichwörtliche “Verkettung unglücklicher Umstände”.

    (Un-)soziale Medien

    Aber siehe da, die, sagen wir wie es ist: bösartigen und menschenverachtenden Kommentare tropfen wie schleimiges, ekliges Zeug herein. Unisono wird gefordert, dass die Geborgenen den Einsatz doch bitte selber zahlen sollen. Das scheint für viele das Allerwichtigste zu sein: das Geld. Per Ferndiagnose wird, im Nachhinein, fein säuberlich aufgelistet, was die Geretteten wohl alles falsch gemacht haben. Vom Wetter über Schuhwerk, man kennt die üblichen Sprüche ja.

    Es folgen einige ausgewählte Zitate aus den Kommentaren der letzten beiden Posts der Bergwacht Garmisch-Partenkirchen bei Facebook (bezüglich Kramer, 14.6. und Jubi-Grat, 11.6.) zur Verdeutlichung, was da abgeht:

    Ich kann nicht verstehen dass sich Menschen immer wieder in solch eine prekäre Lage bringen und dabei das Leben ihrer Retter in Gefahr bringen !!!
    Die genauen Umstände kenne ich natürlich nicht. Aber ich finde es generell schon ein wenig befremdlich, bei normalen Wetterbedingungen und bei einer normalen Wanderung auf dem Gipfel um 20 Uhr festzustellen, dass man ja nicht mehr selbstständig absteigen kann… wann sind die beiden denn losgelaufen? Und wieso sind sie nicht früher umgekehrt? Die wären doch so oder so teilweise in der Dunkelheit abgestiegen, sowas hätte man auch früher feststellen können.
    Können die Menschen die Berge nicht einfach in Ruhe lassen? Dann hätten die Bergretter weniger Arbeit.
    Manche kapieren es nicht… Hatten wir auch mal wieder Wandersandalen an den Füßen?
    Peinliche Aktion!!!! Lieber DAV, lasst solche Leute bitte selbst zahlen. Das kann tatsächlich dazu führen, dass der ein oder andere nachdenkt.
    Einsatz plus Tankrechnung für den Rettungsheli bezahlen lassen

    Respekt an alle Bergretter die solche, Entschuldigung schon vorab, Volltrottel immer wieder unter Einsatz des eigenen Lebens und ohne zu Verurteilen vom Berg holen. Solche Einsätze sollten nicht kostenlos sein. Vielleicht lernen manche dann daraus. Das hat ja schon Taxi Qualität. Ich komme nicht mehr weiter durch meine eigene Dummheit, na und, ich rufe mir mal schnell die Bergrettung. So was macht mich echt wütend.
    Hoffentlich müssen sie zahlen, früher müsste man halt übernachten und am nächsten Tag runter
    Danke Euch!!! Und ich finde es respektlos, wie manch Mensch sich überschätzt.
    laufen mit gps aber kriegen es nicht hin dem heli oder der bodengebundenen rettung die eigenen koordinaten durchzugeben. aber bei unmöglichen bedingungen im hochgebirge unterwegs sein wollen. am besten noch in jeans und chucks. oh man.
    Ich frage mich warum sich etliche Menschen kontinuierlich selbst überschätzen. Das fängt schon bei der Kondition an und weiter über das ungeeignete Schuhwerk bis hin zur Ausrüstung.


    Unsoziales auf den Bergen

    Ja, wir haben einen “run” auf die Berge, und Wandern, Klettern, Bergsport allgemein ist in Mode. The mountains are calling… und das ist gut so! Ganz sicher sind auch Menschen auf Touren unterwegs, die ihnen Mühe bereitet und denen sie subjektiv oder gar objektiv (wer beurteilt das eigentlich?) vielleicht nicht gewachsen sind. Aber wie sollen Menschen wachsen, wenn nicht an ihren Aufgaben? Nicht sehr unverhohlen trieft aus so manchem Kommentar reflexhaft ein alpiner Elitismus, der mich zum Würgen bringt. </p>

    Gerade im Umfeld des DAV, der historisch und beinahe schon bipolar um sein eigenes Verhältnis zu Pluralismus und Elitismus ringt, stoße ich mich daran. In Kletterhallen, auf Berghütten, überall kommt es immer wieder zu klebrigen Mutmaßungen oder schlüpfrigen Bemerkungen. “Wir, die wahren Bergsportler und … die Anderen” ist sicherlich kein Markenzeichen des Bergsportes – oder etwa doch?

    Sicher ist es schwierig, einen an sich und aus sich selbst heraus elitären Sport wie dem Bergsteigen weltoffen und pluralistisch zu leben. Aber im 21. Jahrhundert erwarte ich da einfach mehr, ganz offensichtlich unbegründet und sicher erwarte ich da auch zu viel.

    Die Alpenvereine, konkret der DAV

    Ja, vielleicht gibt es eine “Vollkaskomentalität”, wie der DAV mault. Aber ist es nicht auch der DAV selbst, der die Werbetrommel der alpinen Betätigung kräftig rührt, der den Ausbau der Berghütten anregt, um möglichst schnell und glatt Konsumwünschen zu entsprechen? Heiße Dusche und kaltes Bier statt Eintopf und Wasser am Berg? Oder will der DAV nun die Versicherung abschaffen, die ja anscheinend ein gewisses unerwünschtes Verhalten begünstigt?

    In einem Beitrag von 2017 jedenfalls stellt Bernhard Kühnhauser vom DAV fest, dass zwar die Zahl der tödlich Verunglückten stetig abnimmt, aber die Rettungen wegen Blockierung und Überforderung zunehmen. Und sucht, selbstverständlich, den Grund dafür zu erst nicht im eigenen Dunstkreis, sondern allgemein bei den Opfern (respektive den Geretteten): “gravierende Fehleinschätzungen des eigenen Könnens und der Unterschätzung der alpinen Gefahren”, dem “Aufforderungscharakter” von Klettersteigen und versicherten Steigen oder dem Jubiläumsgrates – und natürlich in der Selbstdarstellung in den Sozialen Medien und den mangelhaften Tourenbeschreibungen der Blogger.

    Etwas später stellt der Autor lakonisch fest, dass in der Satzung des DAV zwar steht, dass der DAV “die Bereisung der Alpen zu erleichtern” habe, aber dass der Zugang mittlerweile vielleicht “für viele zu leicht” geworden sein könnte und will also sogleich “mentale Hemmschwellen” einrichten. Neben einigen mehr solcher Ideen kommt er dann auf die Idee, die “Vollkaskomentalität reduzieren” zu wollen. So stellt sich der DAV vor, dass da Menschen unterwegs sind, die seiner Meinung nach denken sollen: “der Alpenverein zahlt ja, wenn und (sic) die Bergwacht holen muss” – und überlegt prompt, einen “Selbstbehalt für Bergungen aufgrund Blockierung und Überforderung” sowie “vollständige Kostenübernahme bei grober Fahrlässigkeit” einzuführen.

    Auch in offiziellen Pressemitteilungen zur Bergunfallstatistuk aus z.B. 25.7.2012 liest man über diese “Vollkaskomentalität” der DAV-Mitglieder. Hier wird tatsächlich, etwas überlegter, die Ambiguität aufgegriffen, dass jede Bergung unverletzter Bergsportler zwar erfreulich sei, da so auch schlimmere Folgen verhindert werden können – andererseits wird die “sinkende Schwelle, einen Notruf abzusetzen” beklagt.

    Im Jahr vorher noch, am 22.3.2011 reagierte der DAV empört auf die Kritik des Bergwachtchefs aus Mittelwald (der vielleicht so erst das Wort der Vollkaskomentalität in’s bergsportlerische Sprachspiel gebracht hat): “Niemand wird ein erhöhtes Risiko eingehen, nur weil er eine Versicherung hat” und konstatiert, daß die Rückläufigkeit der Unfälle der AV-Mitglieder “der klare Beweis (ist), dass das Risikobewusstein und der Ausbildungsstand unserer Mitglieder höher geworden ist.” Es gebe also überhaupt keinen Anlass, an dem bisherigen Zahlungsmodus etwas zu ändern.

    Die Presse macht natürlich aus Anekdoten sogleich Schlagzeilen: Notrufe ohne Notfälle überall und ständig, diese unverantwortlichen Bergsportler bringen sich und die Retter ohne Not in größte Gefahr.

    Ja, Bergrettung ist ein gefährliches Unterfangen, zudem von bestens ausgebildeten Ehrenamtlichen ausgeführt, und doch wage ich zu behaupten, dass den Rettern bei der Bergung eines “Nicht-Notfalls” weniger Gefahren drohen als bei “echten” Notfällen.

    Das Argument, dass für die Bergung einfacher Blockierungen und Erschöpfungen die Retter für andere, womöglich tragischere Notfälle blockiert sind, gilt natürlich vollumfänglich. Allerdings ist das ein Verteilungsproblem, das alle Not- und Rettungsdienste bewerkstelligen müssen und auch gut bewerkstelligen. Das gehört zu den Grundlagen des Rettungswesens, und es haben sich im Laufe der Zeit viele Methoden herausgebildet, diesem Problem angemessen und professionell zu begegnen.

    Nicht zuletzt sei noch der Kommentar (eigentlich eine Frage) angebracht: der DAV bringt mit seinen Expeditionskadern regelmäßig Menschen ganz bewusst in objektive Gefahren. Hier schließt sich die Frage an: was sind objektive Gefahren, was ist Risiko, welches Risiko ist vertretbar – und mit der Frage nach dem Risiko eng verwoben: was ist Sicherheit? Vielleicht erörtere ich die Thematik des Risiko und Unsicherheit in einem weiteren Artikel, bis dahin sei es dem Leser selbst überlassen, sich dahingehend seine Gedanken zu machen.

    Die Bergwachten

    Befragen wir aber die Bergwacht Bayern selbst zum Thema “Risiko”, zeichnet sich ein ganz anderes, aufgeklärtes, optimistisches und wesentlich menschenfreundlicheres Bild:

    “Die Bergwacht Bayern glaubt, dass es normal und richtig ist, sich neugierig, wagemutig und erkundend zu verhalten, um die Fähigkeiten zu erlangen, die unsere Gesellschaft zum Überleben braucht. Beim Erwerb dieser Fähigkeiten drohen Gefahren und Verletzungsrisiken. Es ist ein Teil unserer Aufgabe, dem leistungsbereiten Menschen Rückendeckung zu geben und ihn zu unterstützen bei seinen Abenteuern, die oftmals Trainingseinheiten für die wichtigen Aufgaben des Lebens sind.”

    Positionen” Bergwacht Bayern

    Die Bergwacht Bayern jedenfalls freut sich über finanzielle Unterstützung und bietet im Notfall weltweite Rund-um-Betreuung:

    Welche Vorteile entstehen ihnen durch die Förderung?

    (…) Außerdem sind Sie und Ihre Angehörigen versichert und werden bei Unfall oder Krankheit weltweit im Ausland im Rahmen des DRK-FLUGDIENSTES zurückgeholt. Im Notfall steht für Sie, je nach medizinischem Notfall, ein modernes Ambulanzflugzeug mit einer Intensiveinheit bereit. Zwei Piloten, ein flugerfahrener Notarzt und weiteres medizinisches Personal bilden ein Team, welches Sie Bestens versorgt in ein deutsches Krankenhaus verlegt und betreut. Sie brauchen sich also weiter um nichts kümmern.
    Sie können den Beitrag als Spende voll von der Steuer absetzen.

    Aus: Homepage Bergwacht Bayern / Bergwacht GAP

    Diskussions- und Denkanstöße

    Genau an dieser Stelle des mittlerweile etwas zerfaserten Gedankenganges möchte ich zusammenfassend drei Diskussions- und Denkanstöße geben:

    1. Hinter einem Selbstbehalt oder der kompletten Kostenübernahme versteckt sich die Idee der Bestrafung der Opfer sowie die grundsätzliche und vorwegnehmende Infragestellung des Opferstatus. Gleichzeitig werden Menschen bevorzugt, die die finanziellen Möglichkeiten haben. Das Bild reicher Schnösel, die sich in den Bergen tummeln und sich einfach ausfliegen lassen, wenn sie nicht mehr weiter kommen, erhärtet sich noch. Diejenigen, die finanziell nicht so gut ausgestattet sind, gehen schon jetzt nicht in die Ferien und in die Berge. Wie oft trifft man in den Bergen oder auf den Hütten marginalisierte Menschen, dazu noch solche mit nur wenig Geld? Genau so kann man bestehenden Verhältnisse zementieren und sich die zahlungskräftige Wunschklientel in die Berge holen. Möchte man genau das?
    2. Wenn der DAV tatsächlich eine Kampagne für mehr eigenverantwortliches Verhalten in den Bergen fährt und den Leuten so “beibringen will”, nicht mehr so schnell zum Notruf zu greifen, riskieren sie damit unweigerlich, dass Menschen in Notlage genau das tun: sich überlegen, ob sie den Kosten eines Einsatzes überhaupt gewachsen sind. Die Zahlen in der Bergunfall-Statistik werden dann sicherlich kippen, und es werden wieder weniger Blockierungen und Überforderungen gelistet – dafür aber mit Sicherheit wieder mehr Todesfälle. Weil die Leute Angst haben, sich Hilfe zu holen.

      Genau das steht jedoch im krassen Gegensatz zur eigentlichen Aufgabe der Bergrettung: Menschen in Notlagen zu retten.

      Wie man sich überhaupt ernsthaft überlegen kann, eine Hemmschwelle für Hilferufe künstlich ins vorhandene System einzubauen, ist mir völlig schleierhaft und widerspricht zudem der Auffassung der Rettungsdienste. Die sind nämlich durchweg der Meinung, dass man möglichst frühzeitig Hilfe rufen sollte, und nicht erst, wenn man unterkühlt, bewegungsunfähig und mit gebrochenen Beinen mehr tot als lebendig bei Gewitter in unzugänglichem Gelände liegt. Nur durch einen rechtzeitigen Hilferuf auch eines überforderten oder blockierten Bergsteigers nämlich kann verhindert werden, dass er versucht, sich aus Angst vor hohen Kosten doch noch irgendwie zu retten und sich so immer tiefer in die Scheiße reitet – womöglich bis zum tödlichen Absturz. Denn je einfacher eine Bergung für die Bergwacht zu leisten ist, desto sicherer ist es auch für die Bergretter.
    3. Zu guter Letzt: wer entscheidet, was die oft bekundete, angemahnte, befundene und beschumpfene Fahrlässigkeit ist? Die Bergretter vor Ort, der DAV im Gremium, die Justiz, oder womöglich der “gesunde Menschenverstand” desjenigen, der die Rechnung schreibt?

      Werden dann auch für einfache Bergwandertouren “bedingt steigeisenfeste Bergstiefel” Pflicht, damit man im Falle eines Falles nicht wegen “mangelhafter Ausrüstung” den Rettungseinsatz übernehmen muss? Macht dann nicht auch eine verpflichtende Schuhsohlen-Profiltiefenmessung Sinn? Ist es dann vorbei mit diesem Trailrunning und den total underequippten Turnschuhträgern am Berg, die sich und andere völlig unnötig in Gefahr bringen?

      Können wir dann endlich den Bergsport komplett sein lassen und besser noch ganz verbieten, denn dieser erfüllt ja eigentlich keinen konkreten gesellschaftlichen Zweck, außer vielleicht der dekadenten Bespaßung der Bergsportler selbst?

    Ist diese Diskussion um Bergsport, Risiko und Unvernunft vielleicht gar Ausdruck einer ganz speziellen Lage der Gesellschaft? Robert Pfaller, Kulturwissenschaftler aus Wien, diagnostizierte der Gesellschaft schon 2008 in Das schmutzige Heilige und die reine Vernunft: Symptome der Gegenwartskultur ein ernsthaftes Problem mit der Unvernunft, die so ganz und gar unökonomisch ist, ein Luxus, den man sich zu Leisten heute schämt.

    Um nun endlich auch etwas Versöhnliches in die Diskussion einfließen zu lassen, schließe ich meinen Kommentar… mit völlig unvernünftiger Musik!

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    Kommentare

    1. Wie wahr, wie wahr! Ich denke, jeder von uns hat sich schon mal durch einen blöden Fehler in Gefahr gebracht und daraus hoffentlich etwas gelernt. Zum Glück musste ich nie die Bergwacht rufen, wahrscheinlich wäre ich sogar eine von denen, die es zu spät tun würden. Keiner lässt sich leichtfertig retten. Hähme ist da vollkommen unangemessen.

    2. Super Kommentar, der genau die Sachlichkeit in die Diskussion bringt, die hier schon lange abhanden gekommen ist.

    3. Lieber Sven,
      danke für den Artikel und die offenen Worte, die ich zum allergrößten Teil auch voll und ganz teile! Aber ich glaube, dass wie so oft im Leben, die Wahrheit irgendwo in der Mitte liegt.

      Sicher ist die Bergwacht genau dafür da, Verunfallte oder anderweitig am Weitergehen/Weitermachen Verhinderte zu retten. Allerdings habe ich schon das eine oder andere Mal eben diese bereits zitierte Vollkaskomentalität miterleben dürfen. Da sagen Bergsteiger so ganz beiläufig im Gespräch, dass wenn die Tour nicht geklappt hätte, sie ja zum Glück hätten die Rettung rufen können, denn schließlich sind sie ja im DAV und damit versichert.
      Menschen, die im Schneegestöber auf Schneeschuhtour gehen, sich retten lassen und hinterher die Bergrettung wegen angeblich unverhältnismäßig hohen Aufwands und damit natürlich Kosten verklagen, Wanderer, die ernsthaft denken, mit 17(!) kg Gepäck zu einer Alpenüberquerung starten zu können und völlig entkräftet in einer sechsstündigen gerettet werden müssen. Solche Dinge müssen nicht sein, man muss kein Profi sein, um sich ein klein wenig mit der Materie zu beschäftigen, sich in eine Tour einzuarbeiten und zu schauen, was, wann und wie geht und was eben nicht.

      Aber natürlich ist es mindestens schwierig bis unmöglich, die individuellen Umstände im Nachhinein zu beurteilen, vor allen Dingen von Außenstehenden und gerade im “Sozialen Netz”.

      Aber letztendlich, egal ob aus Eigenverschulden, weil man Angst hat oder tatsächlich unverschuldet und unverhofft in Gefahr gerät, es ist gut und richtig, dass es die Bergwachten gibt. Was diese Helfer da in den Bergen leisten, egal ob ehrenamtlich, oder hoch professionell und hauptberuflich, ist nicht in Geld aufzuwiegen, auch wenn ich froh bin, die Hilfe noch nicht in Anspruch genommen haben zu müssen.

      Ich hoffe einfach, dass, gerade wo es durch Tourenportale, Blog wie uns, Instagram-Influencer usw. so leicht ist, sich in eine Tour zu verlieben, die Leute mit einem gesunden Maß an Verstand an die Sache heran gehen, planen, abwägen und im Zweifelsfall Hilfe, z. B. eines Bergführers in Anspruch nehmen, wenn sie einer Tour allein noch nicht gewachsen sind, diese aber unbedingt zeitnah machen wollen.

      • Hi Dennis,

        danke erst mal für Deinen ausführlichen Kommentar!

        Sicher gibt es, wie überall, “schwarze Schafe”. Ich bin mir aber sicher, dass der überwiegende Teil der Leute vernünftig ist und sich Touren, trotz des Überangebotes an Informationen, gut vorbereitet und geplant stellt.

        Mit dem Gedanken, die wenigen, die die Bergwacht als “Service” verstehen, zur Kasse zu bitten, gehe ich sogar ja theoretisch mit. Allerdings habe ich Bedenken, wer entscheidet, was “leichtfertig” ist, welche Kriterien dann angelegt werden sollen. Checkliste der mitgeführten Ausrüstung?

        Mir ist vor zwei Jahren etwas Seltsames passiert. Ich war im Hochsommer mit Luna-Sandalen in der Nähe der schattigen Kuhflucht-Wasserfälle unterwegs. Kühl, schattig, wunderbar! Da werde ich bei 30° Grad doch glatt von einem “Bergwanderer” mit hochrotem Kopf, komplett in schwarzes Softshell gewickelt, völlig entrüstet angeherrscht. Weil ich kurz/kurz und dann auch noch “FlipFlops” tragend in den Bergen unterwegs sei. Beim Abstieg habe ich ihn im Galopp wieder überholt, als er 30 Minuten später auch unten war, kam ich gerade vom kühlen Bad aus dem Fluss, war schon wieder trocken und machte mich fertig für den Rückweg zum Auto.

        Was ich mit der Geschichte verdeutlichen will: für ihn, der für eine Tagestour auf den Fricken einen prall gefüllten 40L Deuter Rucksack mitschleppte, war ich mit meinen Sandalen und der Wasserflasche natürlich völlig underequipped. Für mich, der die Gegend und die Wettervorhersage kennt und keine zwei Stunden Abstieg vom Auto entfernt unterwegs war, hat das völlig ausgereicht, selbst im worst-case-Szenario eines Wetterumschwungs.
        Also, wer entscheidet? Immer safety first? Keine Lunas mehr auf T1-Wanderwegen?

        Die Bergwachten und vor allem der DAV werden eine Lösung finden müssen. Aktuell habe ich von Seiten eines Bergwachtlers nur einen privaten Kommentar erhalten mit der Bitte um Nichtveröffentlichung erhalten. Aus diesem lese ich auch heraus, dass eine Lösung gefunden werden muss.

        Mit meinem Beitrag will ich die Diskussion anregen und einige Aspekte aufzeigen, die in der Diskussion auch eine Rolle spielen, aber u.U. vergessen oder vernachlässigt werden. Aspekte des “Disneylandes” und der Kommerzialisierung der Berge als bitteschön voll abgesicherter Abenteuerspielplatz spielen da meiner Meinung nach nicht unerheblich hinein.

        Ich bleibe auf jeden Fall dabei, hin und wieder einen Kommentar zu veröffentlichen und zur Diskussion beizutragen.

        Viele Grüße, Sven

    4. Ich kenne viele Bergwachtler, die wissen, dass jeder mal einen Fehler machen kann. Auch uns “alten Hasen” kann es passieren, dass wir eine Situation falsch einschätzen oder zu spät reagieren. Dafür haben alle Bergwachtleute, die ich kenne, Verständnis. Auch dafür, dass man mal was Neues ausprobieren und eigene Grenzen austesten will. Und jeder Bergretter holt lieber einen Nicht- oder Leichtverletzten als einen Toten vom Berg. Es kommt zum Glück selten vor, dass Leute sich und auch die Retter mutwillig in Gefahr bringen. Es gibt die Vollkasko-Mentalität, aber viel verbreiteter ist das Unwissen über alpine Gefahren. Ich lebe im Berggebiet und weiß, wie erstaunt Nicht-Bergbewohner oft sind, wie schnell ein Gewitter aufziehen und ein Bergbach gefährlich anschwellen kann, wie schnell es einen Temperatursturz geben kann und dass man selbst im Juli noch mit Schneefeldern und schneegefüllten Rinnen rechnen muss – was gerade heuer mehrfach zu Unfällen geführt hat. Da hilft nur Aufklärung, aber bitte nicht von Besserwissern mit erhobenem Zeigefinger. Im Allgäu gibt es z.B. den längst etablierten “Lawinentag”, bei dem Bergführer und Bergwachtler in Theorie und Praxis über Lawinengefahr und Kameradenrettung informieren. Der Infotag, der u.a. von einer Bergbahn unterstützt wird, wird gerade von jungen Wintersportlern gut genutzt. In Oberstdorf gibt’s bei der Tourist-Info eine alpine Beratungsstelle, wo sich jeder Urlauber und Bergsteiger Tipps und Infos zum Bergwetter, Zustand und Schwierigkeit von Bergwegen usw. holen kann. Ein guter Ansatz, aber leider selten in den alpinen Urlaubsgebieten. DAV und Bergschulen erreichen nur die sowieso schon interessierten Leute, die auch bereit sind, Geld auszugeben. Und was die Kosten einer Rettung betrifft: bei Verletzten zahlt die Krankenkasse, aber bei Nicht-Verletzten, Vermisstensuchen u. ä. bleiben die Kosten in der Regel an der Rettungsorganisation hängen. Und bei aufwändigen Aktionen wie z.B. Hubschraubereinsatz sind die Kosten hoch. Dabei arbeiten die Bergwachtfrauen und -Männer ehrenamtlich (!) und opfern enorm viel Freizeit für Ausbildung, Übungen und Bereitschaftsdienst und hören oft nicht einmal ein “Dankeschön”. Also wer soll die Kosten tragen, die Betroffenen (ohne Schuldzuweisung, aber als Verursacher), eine Pflichtversicherung für alle, die sich in den Bergen bewegen, ein Rettungscent zum Kurbeitrag oder ….?

      • Hey Anna Marie,

        bin da ganz bei Dir, was die Information angeht! Das muss schon selbstverantwortlich passieren, und ich denke auch, dass das passiert. In unserer durch Aufmerksamkeitsökonomie gelenkten Welt wird halt nicht berichtet: “adäquat ausgerüstetes Pärchen erlebte gut vorbereitet einen schönen Bergtag” – sondern eben immer die Ausreißer.

        Nur die Sache mit dem “lieben Geld”… wir sind eines der reichsten Länder der Welt, und für Rettungseinsätze fehlt das Geld? Da liegen die gesellschaftlichen Prioritäten einfach falsch. Noch sind wir per Grundgesetz eine “soziale Marktwirtschaft” mit solidarischem Auffangnetz – das eben genau auch für “selbstverschuldete” Unglücke da ist. Alles andere klingt mir zu sehr nach der “90er-Jahre-Eigenverantwortung”, die übersetzt auch nur heißt: zahl’s selber!

        Liebe Grüße,
        Sven

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