Spät abends kamen wir mit dem Zug aus Konstanz im Unterengadin, im kleinen Guarda (1640m) an. Es war eine laue Nacht und noch nie habe ich den Himmel so dicht übersät mit Sternen gesehen. So schalteten wir unsere Stirnlampen nur an, wenn wir sie an Abzweigungen wirklich brauchten. Nach 600Hm Aufstieg kamen wir an der Chamonna Tuoi CAS an und legten uns in unseren Schlafsäcke nochmal für 3 Stunden hin. Die Hütte hatte am vorigen Tag erst wieder geöffnet und so waren wir mit einer anderen Gruppe die Einzigen, die um 5 Uhr morgens die Tour zum Piz Buin starteten. Zum Aufstieg wählten wir die steilere Passage durch das Fourcla Buin, um beim Abstieg über den flacheren Ochsentaler Gletscher (3000m) zu queren. Hier gibt es noch keine Spuren, da die meisten wohl über den Gletscher aufsteigen. Die Sonne geht auf und die Berge beginnen orange zu leuchten.
Das Queren bis zum Einstieg in das Couloir funktioniert gut, da der Schnee noch hart ist. Die Schlüsselstelle ist dann das 10 Meter lange Couloir mit ca. 35 Grad Steigung. Hier sind Pickel oder Stöcke sehr hilfreich. Man sollte auch einen Helm tragen, da sich seitlich vom Fels kleinere Brocken absprengen und immer wieder Eisbrocken von oben herunterschießen. Am Fuß des Gipfels angekommen, hat man einen schönen Blick ins Val Tuoi. Nun geht es weiter über die schuttbedeckte Westflanke. Hier ist Vorsicht geboten, da es steile Stücke gibt, wo man schnell mit dem Schutt abrutschen kann. Danach folgt leichte Kletterei bis kurz unter den Gipfel. Um 6.30 Uhr erreichen wir den Gipfel und haben ihn 1,5h für uns alleine, bis wir der zweiten Gruppe den Platz frei machen. Es war komplett windstill, wir konnten entspannt frühstücken und den gigantischen Rundumblick genießen.
Wir steigen wieder ab und seilen uns am Fuß des Gipfels an. Dann wählen wir den Abstieg über den östlichen Rand des Gletscherbeckens und steigen hoch zur Fuorcla dal Cunfin (3040m), wo wir uns direkt auf der Grenze zu Österreich befinden. Von dort aus durch La Cudera und Plan Rai wieder hinab zur Chamonna Tuoi. Unterhalb von Plan Mezdi seilen wir uns wieder ab und können an den steilsten Stellen ohne Kraftanstrengung im mittlerweile nassen Schnee hinabrutschen.
An der Hütte angekommen machen wir nochmal Rast, tauschen unsere durchnässten Socken aus und versuchen die Hosen zu trocknen. Die Hütte wurde sehr sensibel neu renoviert, indem man dem alten Steinhaus einen Anbau mit Holzverschalung angesetzt hat und die Materialien im Innenraum sehr sorgfältig und passend ausgewählt hat.
Jetzt konnten wir den Bergfrühling, die saftigen Wiesen und Bäume, unendlich viele Blumenarten und die umgrenzenden Berge bei Tag bewundern. Rauschende Flüsse begleiteten uns ins Tal nach Guarda hinab. Beeindruckend sind die Farbenvielfalt und die vielen Geräusche im Gegensatz zur einsam wirkenden, stillen, schwarz-weißen Landschaft, die wir oben erlebt hatten. Umso näher wir dem Tal kommen, desto heißer wird es und wir freuen uns über den kalten Brunnen in Guarda. Hier bestaunen wir die schönen Verzierungen an Türen, Fenstern, Erkern und Fassaden der alten Häuser des malerischen Dorfes (Guarda). Zurecht erhielt es den „Wakker Preis“ (Schweizer Heimatschutz) und wird als UNESCO-Dorf bezeichnet.
Fazit: Der Piz Buin bietet bei gutem Wetter einen wunderschönen Rundum- und Tiefblick ins Val Tuoi. Von unten wirkt der Berg sehr mächtig und markant. Die gewählte Route von Guarda aus, durch das Couloir hoch und über den Gletscher wieder hinab war sehr abwechslungsreich. Man beginnt mit einer Frühlingswanderung, besteigt den Gipfel mit leichter Kletterei und kommt nach einer Hochtour wieder im sommerlichen Tal an.