Abseilen – direkt vom Parkplatz aus – über die Route “Morgensonne” in die Schlucht Ova del Vallun bei Silvaplana. Ein Toprope hing damit schon und die Gruppe teilte sich auf in die Einführungsgruppe und diejenigen, die schon mal losklettern. Der Eiskletterkurs von Raus und Rauf war in vollem Gange.
Gefrorenes Wasser, senkrecht
Ich sag euch eins: die Wand, beziehungsweise der Eisfall, sah von unten gar nicht so steil aus. Geradezu machbar. Wenn man aber mal drin hängt.. uiui! Die “70-80° Steilheit mit kurzen, senkrechten Aufschwüngen” (so der Eiskletterführer Hot Ice Schweiz Ost) sind gewaltig steil! Dann kämpft man mit den ungewohnten Gerätschaften, den ungewohnten Bewegungsabläufen, mit der Kälte…
Die Finger krampfen sich um die Eisgeräte, und nach wenigen Höhenmetern werden die Unterarme dick, man spürt die Finger sowieso nicht mehr. Und doch gibt es nur eins: hoch! Nicht stürzen! Schnell irgendwie irgendwo rasten, sobald sich die Möglichkeit bietet. Die Nähmaschine unterdrücken, Füße belasten! Füße ist eigentlich auch falsch, denn man steht ja nicht, man steckt im Eis. Mit einer minimalsten Spitze der Steigeisen. Fersen hängen lassen, so die Theorie. Aber Theorie ist geduldig!
Abgekämpft werde ich abgelassen. Stolz, aber ziemlich fertig, und mit einem riesen Grinsen im Gesicht, setze ich mich und futtere Kalorien in mich hinein, schaue zu, trinke Tee. Eigentlich wird ja immer gegessen. Zum Glück haben wir einige erfahrene Eiskletterer dabei, die allerlei hochkalorische Köstlichkeiten aus ihren Rucksäcken zaubern. Inklusive Kocher, versteht sich. Danke, Jungs!
Markus steigt vor, bereitet die rechte Seite des Eisfalls vor, dreht Eischrauben, ganz locker an einem Arm hängend, baut den Standplatz. Beim Ablassen dreht er dann noch mehr Eischrauben ein. Dann gehen die Mutigen in den Vorstieg. Ich belasse es für heute beim Toprope, morgen ist ja auch noch ein Tag. Da gibt es wohl noch weniger steile Routen, und da werde auch ich vorsteigen.
Maloja, Salecina
Nach gehörigem Austoben fahren wir durchgefroren zu unserer Unterkunft Salecina. Salecina ist ‘ne ganz eigene Hausnummer: ein selbstverwaltetes Domizil, mit allerlei Diensten und Aufgaben für die Gäste, abendlicher Planungsrunde und pi-pa-po. Aber nett. Gewöhnungsbedürftig, Kommunen-mässig, aber nett. Da Salecina eine Stiftung ist, werden Nicht- oder Geringverdiener gefördert, es gibt drei Preiskategorien: Normalverdiener, den Kostendeckungspreis und den Geringverdienerpreis. Man gibt, so viel man will und kann. Das Konzept geht auf, verschiedene Studien und Selbstversuche zum Thema “zahl was Du willst” bestätigen, dass die Menschen eher mehr als weniger geben. Am Abend gab es ziemlich leckere Pizza für alle – normalerweise kochen die Gäste in Salecina selbst, am Samstag Abend aber wurden wir bekocht. Danke dafür! Wir erledigten das Aufräumen, den Abwasch und bequemten uns im Anschluss auf der Kuschelecke vor dem offenen Kamin, schmökerten in allerlei von Markus mitgeschleppter Alpinliteratur. Am nächsten Morgen bereiteten wir das Frühstück für alle Salecinabewohner und Teilzeitbewohner und machten uns auf den Weg.
Schneemenschen
Leider war der Eisfall in Surlej, der es für heute sein sollte, schon durch eine Zweierseilschaft belegt, der Eisfall selbst war ziemlich eingeschneit. Aus Sicherheitsgründen disponierten wir um und gingen wieder in’s Ova del Vallun. Es gab viel Schnee in der Nacht, der Weg in die Schlucht war durchaus beschwerlich. Erste Take-Home-Message: lieber frieren als Schwitzen! Das Frieren nach dem Schwitzen ist um einiges Schlimmer, als das Frieren beim Gehen! Und: gute, atmungsaktive Kleidung ist extrem wichtig! Die DirectAlpine Guide Jacke verrichtete dampfend brav ihren Dienst. Die Jack Wolfskin Überzieh-Regenhose nicht.
Alle tauglichen Eisfälle waren heute belegt, also marschierten wir weiter, bis ans Ende des begehbaren Teils der Schlucht. Der Schneefall wurde stärker. Einigermassen unmotiviert übten wir das Bauen von Standplätzen, bohrten Sanduhren. Dann, ein riesen Schreck: J. brach bis zum Bauchnabel in einen überschneiten und gefrorenen Tümpel ein! Es ging glimpflich ab, seine Kleidung hielt den allergrößten Teil des Eiswassers ab. Besorgt richteten wir alle schomal Wechselkleidung her. Nötig war es nicht, zum Glück. Langsam wurde es ungemütlich, immer mehr Schnee, der auf der Kleidung taute. Kalte Nässe zieht in alle Ritzen. Schöne, kletterbare Eisfälle gab hier hinten es keine, nur kurze Stücke zwischen viel Schnee und Gestrüpp.
Um zwei Uhr machten wir uns auf den Rückweg. Nur, es war kein Weg mehr zu sehen! Die Pfadspur war zugeschneit und nur noch zu erahnen. Von links und rechts sprühten Pulverschneelawinen in die Schlucht herab. Ein schöner Anblick, und grausam zugleich. Meterhoch lag der Schnee der Lawinen auf dem vermuteten Pfad. Bis zum Bauchnabel einsinkend, ab und zu in den Bachlauf einbrechend, spurte ich die Hälfte der Strecke. S. übernahm dann die letzte Hälfte. Aber hey, das machte schon ziemlichen Spaß und ließ den Adrenalinspiegel dann doch noch einmal etwas ansteigen 🙂
Literatur: